Meine Güte – was für eine Partie! Der Berichterstatter hatte ja bereits in seinem vorigen aktuellen Hinweis auf die Live-Übertragung darauf hingewiesen, dass unser Protagonist Hartmut Hehn gut zu stehen gekommen war, nachdem er die Eröffnung für seine Verhältnisse noch einmal ziemlich gut hingekriegt hatte. Zwar fand Hartmut heute nicht ganz so oft wie gestern immer die allerbesten Möglichkeiten, doch da dies auch für den von der Papierform her noch eine ganze Ecke stärkeren Gegner galt, konnte Hartmut einigen Vorteil wahren – ja, bis er mit dem Erreichen der Zeitkontrolle im 40.Zug mit dem offensichtlichsten Zug, den wahrscheinlich neun von zehn Spielern auch gezogen hätten, seinen Vorteil verlor.
Wie es dann so oft ist, verstärkte sich der negative Stellungstrend im Zuge der einen oder anderen Ungenauigkeit weiter. Da zu diesem Zeitpunkt bereits nur noch wenige Partien liefen und diese am dritten Brett am weitesten vorne, hatte sich offenbar zwischenzeitlich eine größere Ansammlung an Kibitzen rund ums Brett geschart, womit der äußerlich um Coolness bemühte gegnerische Favorit offenbar weniger gut klar kam als unser SVE-Protagonist. Im 68. Zug ließ der Gegner wohl eine Gewinnfortsetzung aus, wonach die die Übertragung begleitende Engine zunächst ziemlichen Gleichstand signalisierte. Schon bald darauf manövrierte aber der Kontrahent dann mit seinem verbliebenen Turm derart unglücklich, dass Hartmut plötzlich seinen verbliebenen h-Bauern voranpreschen lassen konnte, dem der Gegner wohl ob seines als Einzelbauer vermeindlich bereits besiegelten Schicksal des Verlustes bereits nicht mehr wirkliche Beachtung geschenkt hatte, der dann aber für den Gegner wohl schockierend nicht mehr aufzuhalten war. Der Gegner verband ein Turmschach noch mit einem Remisangebot, doch Hartmut ließ sich nicht mehr ins Bockshorn jagen, hatte er da doch bereits bemerkt, dass er auf weitere Turmschachs letztlich mal seinen Läufer dazwischenziehen hätte können, wonach der Durchmarsch des eigenen Freibauern endgültig gesichert gewesen wäre. So fand die Partie dann letztlich doch noch ihren verdienteren Sieger, denn Hartmut hatte die Partie doch über längere Zeit hinweg kontrolliert und bestimmt.
In der nun um 16 Uhr gestarteten dritten Runde muss Hartmut nun erstmals mit Schwarz agieren, wobei er mit Dirk Viebahn (SC Mühlheim, ELO 2164/DWZ 2125) zwar wieder einen von der Papierform noch stärkeren, aber auch nicht besseren Gegner als zuvor zugelost bekommen hat. Auch diese an Brett vier stattfindende Partie wird wieder live übertragen und in WM-tauglich ausschauenden „Premium-Sesseln“ absolviert, die an den vordersten zehn Brettern platziert sind.
[Nachtrag 15.07. 0:05 Uhr] nun noch in kommentierter Form die ereignisreiche und dramatische Partie unseres SVE-Protagonisten der zweiten Runde …
[Event "Vellmarer Schachtage"]
[Site "?"]
[Date "2017.07.14"]
[Round "2"]
[White "Hehn, Hartmut"]
[Black "Kearns, Christopher"]
[Result "1-0"]
[ECO "E20"]
[Annotator "Mi. Rupp"]
[PlyCount "140"]
{Wie im Rundenbericht bereits anklang, war dies eine ziemlich reichhaltige
Partie. Letztlich hatte der Protagonist das bessere Ende für sich, der
zunächst auch gewissermaßen Punktsieger der ersten Partiehälfte gewesen ist
...} 1. d4 Nf6 2. g3 $5 e6 3. c4 d5 4. Bg2 dxc4 5. Nf3 {spätestens damit sind
wir in Katalanischen Gefilden gelandet} Bb4+ 6. Nc3 O-O 7. O-O Nd5 $5 {das
wurde an dieser Stelle offenbar erst drei Mal gespielt, obwohl dieser Zug auch
von meiner Engine sehr weit oben geführt wird} (7... Nc6 {ist hier der
Standartzug}) 8. Qc2 {[%csl Yc3,Gh7][%cal Gf3g5]} Be7 9. Rd1 Nd7 $146 (9... Nc6
) 10. Ne5 $5 Nb4 $5 (10... Nxe5 11. dxe5 {missfiel dem Gegner sicherlich wegen
des Vis-a-vis in der d-Linie, doch auf} c6 $1 {geht} 12. e4 $2 {noch nicht
wirklich wegen der starken Ausflucht} Nb4) 11. Qb1 $1 Nb6 12. a3 $1 {Hartmut
findet den richtigen Plan ...} N4d5 13. Qa2 $1 Bd7 14. Nxc4 $14 {Nach einer
richtig überzeugenden Eröffnungsbehandlung gelingen Hartmut zunächst auch
noch die nächsten paar Züge gut ...} Nxc3 15. bxc3 Nd5 16. Bd2 Ba4 17. Re1 c5
18. e4 Nb6 $1 19. Be3 ({Hier scheint mir} 19. d5 $1 {nachhaltiger zu sein:}
exd5 $6 (19... Nxc4 $142) 20. exd5 Nxd5 {nun muss Weiß allerdings aufpassen
und die richtige Wahl treffen:} 21. Ne5 $1 $36 {[%csl Rd5]} ({das scheinbar
auf der Hand liegende} 21. Bxd5 $2 {würde sich dagegen nach} Qxd5 22. Rxe7 Bc6
$19 {als Reinfall entpuppen})) 19... Nxc4 20. Qxc4 b5 (20... cxd4 21. cxd4 Qd7
{mit guten Ausgleichschancen erscheint sicherer}) 21. Qe2 c4 $2 {den spielte
der Gegner á Tempo, doch der Zug ist strategisch falsch, da er den Druck auf
das weiße Bauernzentrum aufgibt und dem Gegner so nun die Gelegenheit zu
einem günstigen Aktivierungsmanöver gibt ...} 22. e5 $1 {ebenfalls rasch und
binnen einer Minute gespielt} Rb8 23. Be4 $1 $16 {[%csl Ye3,Ye4] hier steht
der Läufer wirklich prächtig} Kh8 24. Qh5 g6 $8 25. Qh6 Rg8 26. h4 Qf8 {
während die vorigen paar Züge von beiden Kontrahenten ziemlich schnell aufs
Brett gebracht wurden, nahm sich Hartmut nun offenbar ziemlich viel Zeit, um
dann letztlich die richtige Entscheidung zu treffen ...} 27. Qf4 $1 $16 {nach
Damentausch würde insbesondere die Schutzbedürftigkeit seines a-Bauern seine
Möglichkeiten einschränken} Rd8 ({Hartmut musste natürlich insbesondere
kalkulieren, wie die Folgen von} 27... Bxa3 {zu bewerten sind. Der Bauer war
zwar wohl durchaus zu nehmen, doch kann Weiß mit sehr guter Kompensation
rechnen; man sehe z.B.} 28. Qf6+ Rg7 $8 29. Reb1 (29. Bh6 $6 {vermag nach} Bb2
$8 $14 {nicht so richtig zu überzeugen}) 29... Be7 $8 30. Qf3 $16 {[%cal
Re3h6]}) 28. Kg2 (28. Qf3 $1 {[%cal Gd4d5,Yg6g5,Yh4h5] scheint mir hier am
präzistesten, um ...g5 auch mit h5 beantworten zu können und Schwarz ggf.
mit d5 rechnen zu lassen}) 28... a5 29. Rh1 Bb3 30. Bc6 (30. Qf3 $5) 30... Ba4
$6 31. Rhb1 ({der Computer bevorzugt} 31. d5 $1 exd5 32. Bb6) 31... Rb8 32. d5
$5 {jetzt nicht mehr ganz so stark wie zugs zuvor} exd5 33. Bd4 $5 ({ungefähr
wohl gleichwertig war das profanere} 33. Bxd5) 33... Bc2 34. Rxb5 {sieht
naheliegend aus, war aber vielleicht nichts das Präziseste} (34. Rb2 $5 Bf5
35. e6+ f6 36. Re1 $1 {scheint noch etwas nachhaltiger zu sein} (36. g4 Bd6 $1
37. Qg5 Be7 $14)) 34... Rxb5 35. Bxb5 Bf5 36. Bd7 $5 {nicht schlecht, aber
wieder ging es wohl noch einen Tick besser} (36. e6+ $1 f6 37. Bc6 Bxe6 $2 38.
Re1 Bf5 39. g4 $1 $18 Bd6 (39... Bc8 $2 40. Rxe7) 40. Qg5) 36... Be6 $1 {
Schwarz tut gut daran, so ein etwaiges Abzugsschach e5+ zu blockieren} 37. a4 (
{noch nachhaltiger war} 37. Rb1 $1 g5 ({die Pointe sieht man nach} 37... Bxa3
$2 38. Bxe6 $1 fxe6 39. Qf6+ $1 $18) 38. hxg5 Bxg5 39. Qf3 Qxa3 40. Bxe6 $1
fxe6 {und nun hat Weiß den herrlichen Zug} 41. Qxd5 $3 {mit annähernder
Gewinnstellung}) 37... g5 38. hxg5 Bxg5 39. Qf3 $8 Qh6 {Hartmut hatte nun noch
einen Zug auszuführen, um die Zeitkontrolle zu erreichen. Hand aufs Herz: wer
hätte nun nicht Hartmut´s Wahl ebenfalls getroffen?! ...} 40. Rh1 $6 {damit
scheint der größte Teil des noch vorhandenen weißen Vorteils flöten zu
gehen ...} ({nachhaltiger und cooler war stattdessen} 40. Rb1 {, denn außer
einem einzelnen "Kuckuck-Schachgebot" droht Schwarz nichts, während der
weiße Turm nun auf b7 oder b6 Druck zu machen droht}) 40... Qg6 41. Bc6 Rd8 $8
$14 {anscheinend überlegte Hartmut nun etwas länger, um dann} 42. Bb6 $6 {zu
spielen, was wahrscheinlich nicht erste Wahl war} Bf5 $1 {der kam dagegen
ziemlich rasch} 43. Re1 $5 {jedenfalls die mutigere Wahl} ({der einzig andere
spielbare Zug war hier} 43. Qh5 Rb8 $1 44. Qxg6 $8 fxg6 $11) 43... Be4 44. Rxe4
$8 dxe4 45. Qxe4 $1 (45. Bxe4 Qxb6 46. Qxf7 {sieht vielleicht auf den ersten
Blick nachhaltiger aus, ist nun doch} Qh6 $8 {erzwungen, doch nach} 47. f4 Rb8
$17 48. e6 Rb2+ 49. Kf3 $8 {und nun} Be7 $1 (49... Qh1+ $4 50. Kg4 $8 $18) 50.
Qxe7 Qh5+ 51. Ke3 $8 Re2+ $8 52. Kd4 Rd2+ $8 53. Kxc4 $8 Qe2+ $8 54. Kc5 $8
Qe3+ $8 {dürfte Schwarz gewinnen}) 45... Qxe4+ 46. Bxe4 {[%csl Ra5] Weiß hat
für die Minusqualität einen Mehrbauern und insbesondere der schwarze a-Bauer
schwächelt} Rd2 $1 $11 {mit diesem aktiven Zug wahrt Schwarz ungefähr
gleiche Chancen} 47. Kh3 $5 (47. Bxa5 Be3 48. Bb4 Rxf2+ 49. Kh3 {erscheint mir
einen Tick sicherer}) 47... Bd8 48. Bd4 Kg8 49. f4 (49. Bc6 $5 {[%csl Gc4]
[%cal Gc6b5] erscheint weniger verpflichtend}) 49... Rb2 $1 {[%cal Gd8b6]} 50.
Bd5 $6 {eine Ungenauigkeit, die es Schwarz erlaubt, Weiß seines Läuferpaares
zu berauben, womit die Stellung kippt ...} (50. Bc5 $44 Bb6 51. Bd6) 50... Bb6
$1 $15 51. Bxb6 (51. Bxc4 $1 Bxd4 52. cxd4 Rb4 53. Bb5 Rxd4 54. Kg4 {könnte
vielleicht bessere Chancen bieten, die Partie halten zu können}) 51... Rxb6
52. Bxc4 Rc6 53. Bb5 (53. Bd5 $5 Rxc3 54. e6 fxe6 55. Bxe6+) 53... Rxc3 54. Kh4
Kg7 55. Bd7 Re3 56. Bc6 $6 (56. g4) 56... f6 57. exf6+ $8 Kxf6 {die nächsten
Züge unkommentiert, zumal in dieser Lavierphase ohnehin schwer zu sagen ist,
was für beide Seiten in dieser Phase jeweils das allerbeste ist ...} 58. Bd7
h6 59. Kg4 Rc3 60. Kh4 Rf3 61. Kg4 Rf2 62. Kh3 Rd2 63. Bb5 Kf5 64. Bc6 h5 65.
Be8 $6 h4 66. gxh4 {andere Züge waren keineswegs besser} Kxf4 67. h5 Re2 68.
Bb5 {dieser Moment war für den weiteren Fortgang und Ausgang der Partie nun
wohl wieder wichtig ...} Ra2 $2 {damit kommt Schwarz vom Gewinnpfad ab ...} ({
Nach} 68... Re1 {[%cal Ge1h1] wäre es für Hartmut wohl wahnsinnig schwer
oder gar unmöglich geworden, die Partie zu halten; man sehe z.B.} 69. Kg2 (69.
Bc6 Kg5 70. Kg3 Kxh5 71. Kf4 Kg6) 69... Re5 70. Kf2 Rxh5 71. Ke2 Ke4) 69. h6 $1
{Hartmut erfasst die Chance beim Schopfe ...} Kg5 $4 {Was für ein Fehlgriff! .
..} ({Nach dem besten} 69... Ra1 $1 $11 {zeigt die Engine bei drei
Entgegnungen die Stellungsbewertung "0.00" an}) 70. h7 $8 $18 {insofern wohl
nicht so schwer zu finden, da alles andere wohl verloren hätte} Ra3+ {Damit
unterbreitete der Gegner gleichzeitig ein Remisangebot. Hartmut hatte aber den
versuchten Schwindel bereits enttarnt und konnte sich (wie er dem
Berichterstatter inzwischen verraten hat) die Entgegnung "zu spät!" nicht
verkneifen, worauf der Gegner ohne sein Partieformular mitzunehmen aufgab und
sogleich schlecht gelaunt entschwand} 1-0