Dieser Beitrag zeigt eindrücklich auf, was der Unterschied ist zwischen Pragmatismus und der eisernen Logik einer Engine: nicht immer ist aus menschlicher Sicht der Computerzug auch der beste in der Praxis. Ein besseres Beispiel als das folgende Fragment ließe sich kaum denken.
Van Wely – Carlsen, Wijk aan Zee 2008
Weiß am Zug
Diese traumhafte Stellung erreichte Loek van Wely gegen den späteren Weltmeister. Objektiv steht Weiß vollkommen auf Gewinn, doch zwei Züge vor der Zeitkontrolle wurde dem niederländischen Großmeister seine Zeitnot zum Verhängnis. Er wählte hier 1. De4-e3? Df7xd5+ 2. Kg2-g3 Sb2-c4 und verlor diese komplizierte Stellung später tatsächlich noch. Der Computer empfiehlt in der Diagrammstellung als stärkste Option 1. De4-e7, doch welcher Mensch soll bei so wenig Bedenkzeit und entblößtem König hier den Unterschied erkennen? Gefragt ist stattdessen ein weitaus pragmatischerer Ansatz, den der Computer nur etwas schlechter und als immer noch völlig ausreichend zum Gewinn bewertet. Welchen Zug hätte Loek van Wely hier also sicherlich gespielt, wenn er ihn erspäht hätte?
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Wenn Weiß die Damen tauschen könnte, dann wäre das schwarze Gegenspiel komplett harmlos, während die quecksilbrigen weißen Freibauern rasch das Rennen machen würden. Dies alles hätte sich mit dem Opferzug 1. Tb8-h8+!! bewerkstelligen lassen, denn je nach schwarzer Antwort kann Weiß im nächsten Zug auf e8 oder e7 die Damen tauschen und eine leicht gewonnene Stellung erlangen.
Nüchtern betrachtet würde jeder Großmeister dem Turmopfer den Vorzug gegenüber 1. De4-e7 geben.