Im Rahmen seines 75-jährigen Bestehens hatte der Schachverein Ebersbach am vergangenen Samstag ein ganz besonderes Event an Land ziehen können: der Weltklassespieler und gleichzeitig die deutsche Nr. 1, Großmeister Vincent Keymer, gab sich die Ehre und spielte eine Simultanvorstellung in der Aula des Raichberg-Gymnasiums Ebersbach. Zwar gelang es uns leider nicht, alle vorgesehenen 40 Bretter zu besetzen, aber für die letztlich 22 anwesenden Teilnehmer wurde das Event zu einem unvergesslichen Ereignis.
Dank der Beziehungen des in der Szene bestens vernetzten Funktionärs Sven Noppes von den benachbarten Schachfreunden Deizisau wurde im Frühjahr der Kontakt erfolgreich hergestellt und das Simultan ermöglicht. Eine spürbare Vorfreude machte sich am Tag des Turniers breit, doch schon vor dem eigentlichen Turnierbeginn beeindruckte der gerade einmal 18 Jahre junge und außergewöhnlich begabte Großmeister mit seinem Charisma, seiner unkomplizierten Art und seiner Nahbarkeit. Selfies, Smalltalk und Autogrammwünsche gehörten wie selbstverständlich dazu – all das machte auf die Teilnehmer gehörigen Eindruck. Auch die anwesenden Kiebitze und Freunde des Vereins bestätigen hinterher unisono den exzellenten Eindruck, den sowohl der Großmeister selbst als auch die gesamte Veranstaltung hinterlassen hatten. Sogar der Star des Events selbst lobte hinterher nochmals die Organisation!
In rein sportlicher Hinsicht blieb das erhoffte Wunder allerdings aus: der junge Großmeister besiegte letztlich alle 22 Teilnehmer, obwohl sich natürlich bei einem solchen Turnierformat unvermeidlicherweise Chancen für die Herausforderer ergeben müssen – es gilt aber auch, diese zu nutzen! Da dies ausblieb, bewahrte der Champion seine weiße Weste und hatte die in ihn gesteckten Erwartungen praktisch übererfüllt! Dies ändert jedoch nichts daran, dass die Simultanvorstellung unabhängig vom Ergebnis neue Interessenten anlockte und eine vielversprechende Resonanz nach sich zog. Dass dieser Tag fraglos zum Höhepunkt des Jubiläumsjahres wurde, bezweifelte hinterher keiner mehr!
Hier ein paar der wenigen kritischen Momente:
Keymer – Wurmbauer
Stellung nach dem 16. Zug von Schwarz
Nils Wurmbauer bekam die erhofft scharfe Stellung aufs Brett, selbst wenn diese objektiv nicht sonderlich gut für ihn war: der Großmeister traute sich allerdings nicht, hier das wohl objektiv stärkste 17. Sc4xd6 zu spielen und wählte stattdessen den Schocker 17. Ke1-d1?!. Für eine Simultandarbietung ist dies ein ganz und gar außergewöhnlicher Zug, der seine Wirkung nicht verfehlte. Nils setzte überambitioniert mit 17… Sb8-a6?! 18. Th1-e1 b7-b5? fort und hatte nach 19. Sc3xb5 Ta8-b8 20. Sc4xd6 keine ausreichende Kompensation. Stattdessen wäre 17… Sb8-d7! eine bessere Wahl gewesen, denn falls 18. Db3xb7, so ergäbe 18… Ta8-b8 19. Db7xa7 nach 19… De7-h4 keinesfalls zu unterschätzende Kompensation.
Keymer – Grill
Stellung nach dem 29. Zug von Weiß
Bernd Grill fand sich dagegen in einer passiven Stellung wieder und musste mit seinem gelockerten Bauernschutz gehörig achtgeben: nach langer Verteidigung hatte er soeben b6-b5 mit anschließendem Tausch auf c4 und spürbarer Entlastung durchsetzen können. Die logische Fortsetzung bestand nun in 29… Sc7-a6, doch beseelt von dem Wunsch, den d-Bauer möglichst bald vorstoßen zu können, geschah stattdessen das ungenaue 29… Dd7-c6?! 30. Sg2-e3 d6-d5?!, worauf 31. Sc2-d4 mit 31… Dc6-c5 hätte beantwortet werden sollen, da 32. Sd4-b3 Dc5-c6 33. Sb3-a5 Dc6-a6 den weißen Springer am Brettrand ins Abseits stellen würde. Es geschah jedoch 31… Dc6-a6?, was nach 32. c4xd5 Sc7xd5 33. Sd4xe6+! einen Bauer einbüßte. Ein weiterer Fehler folgte ein paar Züge später, wonach die schwierige Verteidigung mit Minusbauer aussichtslos wurde.
Keymer – W. Junger
Stellung nach dem 29. Zug von Weiß
Am nächsten an einen Sieg war Werner Junger herangerückt, da der Großmeister zuvor in der verwickelten Stellung nicht immer die beste Wahl getroffen hatte. Leider verpasste Werner die goldene Gelegenheit und setzte hier mit 29… e3xf2+? fort. Er fand sich nach 30. Kg1xf2 Td8-d2+ 31. Kf2-f3! rasch in einer verlorenen Stellung wieder, da ihm nach 31… De5xe1 32. Td1xe1 Te8xe1 33. Dc4-c7+ die mangelhafte Koordination seiner Kräfte schon bald zum Verhängnis wurde.
Er hätte stattdessen mit einer nicht ganz leicht zu entdeckenden Zugfolge gewinnen können: nach dem von Werner zwar erwogenen, aber leider letztlich verworfenen 29… Td8-d2! wäre Weiß tatsächlich in der Falle gesessen – vorausgesetzt, die nächsten beiden schwarzen Züge passen auch. Wenn Weiß nicht auf d2 nimmt, bleiben ihm als Alternativen nur die erbärmlichen Züge 30. f2-f4 und 30. Te1-f1, die natürlich den schwarzen Turmzug rechtfertigen würden. Keymer hatte nach eigenem Bekunden 30. Td1xd2 geplant und wollte im Falle von 30… e3xd2? mit 31. Te1xe5 d2-d1=D+ 32. Kg1-g2 Te8xe5 33. Dc4-c7+ fortsetzen, was das materielle Gleichgewicht wiederherstellt und ein Remis wahrscheinlich macht. Der richtige Zug ist die vom Großmeister ebenfalls erwogene Alternative 30… e3xf2+! 31. Tf1xf2. Beide Spieler hatten hier jedoch nur mit dem anschließenden Nehmen auf e1 gerechnet, was in der Tat zu nichts führt. Korrekt ist, den weißen Mehrturm erneut zu ignorieren und stattdessen 31… De5xg3+! zu ziehen, wonach es kein Entrinnen gibt. Nach 32. Kg1-f1 (32. Tf2-g2 Te8xe1+ oder 32. Kg1-h1 Te8-h8+ sind ebenfalls verloren) 32… Dg3-h3+! geht nur 33. Tf2-g2, doch 33… Dh3-h1+! 34. Kf1-f2 Dh1xe1+ oder stattdessen das wunderbare 34. Tg2-g1 Dh1-f3# mit einem Bilderbuch-Epaulettenmatt entscheidet sofort.
So kam der Weltklassespieler also letztlich ungeschoren davon und siegte „zu Null“!
Hier zum Schluss noch ein paar bebilderte Impressionen:
Im angeregten Gespräch tauschen sich (v.l.n.r) Vincent Keymer,
Hartmut Hehn, Bernd Grill, Sven Noppes und Rainer Wolf aus
Es ist alles vorbereitet – noch herrscht Ruhe vor dem Sturm
Der Großmeister vorm Beginn in der
Konzentrationsphase
Manuel Zöller begrüßt den Stargast sowie die Teilnehmer und
erläutert zu Beginn nochmals die wichtigsten Regeln
Dann geht es los: nach ein paar letzten Fotos eilt Manuel Zöller
an sein Brett, wo er sogleich vom Großmeister erwartet wird:
Martin Koser und Manuel Roosz nehmen den ersten Zug
schon entgegen, während Nikola Karacic noch darauf wartet
Die härteste Konkurrenz erwartete den Großmeister bei der
1. Mannschaft des SVE – immerhin sechs Stammspieler waren zu
dem Versuch angetreten, den übermächtigen Gegner ins Straucheln
zu bringen (Bild: Grill, Kessler, Wurmbauer und die Gebrüder Junger)
Ebenfalls für die Erste des SVE am Start war Hartmut Hehn
sowie davor unser passives Mitglied Rainer Wolf (spielt für WD Ulm)
Letztlich war alles Nachdenken vergebens –
kaum zu glauben!
Auch unsere beiden Jüngsten Rafael Franke (7)
und Simon Groke (8) nahmen selbstverständlich teil –
ein unvergesslicher Tag schon in jungen Jahren!
Nach dem Triumph des Großmeisters gab es natürlich auch
noch ein Gruppenfoto als Andenken an diesen tollen Tag!
Unser Fotograf Edwin Hoffmann aus Albershausen nahm
natürlich nicht aktiv teil, ließ sich aber das
obligatorische Selfie auch nicht nehmen!
Der Schachverein Ebersbach bedankt sich zunächst nochmals bei Vincent Keymer, der sich die Zeit für dieses Event nahm und unserem Verein ein denkwürdiges Erlebnis bescherte. In diesem Zusammenhang möchten wir auch nochmals das Engagement von Sven Noppes (Schachfreunde Deizisau) hervorheben, ohne dessen Zutun die Durchführung dieses Events nicht möglich gewesen wäre.
Ein weiterer Dank gilt der Stadt Ebersbach, die uns nun schon zum zweiten Mal in diesem Jahr (nach der gemeinsamen Oberliga-Endrunde im Mai 2023) die Räumlichkeiten im Raichberg-Gymnasium Ebersbach kostenlos zur Verfügung gestellt hat.
Unseren Dank möchten wir auch der Volksbank Göppingen aussprechen, die mit einem Geldbetrag unser Event großzügig unterstützt hat. Der Schach-AG-Leiter des ortsansässigen Gymnasiums, Horst Bittner, übernahm außerdem mit einem engagierten Team von Zehntklässlern die Bewirtung der Veranstaltung und trug damit ebenfalls maßgeblich zu ihrem Gelingen bei.
Der Fotograf Edwin Hoffmann aus Albershausen erklärte sich zudem kostenlos bereit, die Veranstaltung im Bild festzuhalten und uns das Ergebnis seiner Arbeit für die Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen! Auch bei ihm bedanken wir uns hierfür ganz herzlich!
Dieses Turnier wird zweifellos immer einen besonderen Platz in unserer Vereinsgeschichte einnehmen – unser Dank gilt daher auch allen fleißigen Helfern, die an dieser Stelle nicht explizit erwähnt wurden. Es war wunderbar – Ihr seid großartig!
Der Vorstand
Schachverein Ebersbach 1948 e.V.